PROVENIENZFORSCHUNG IM MUSEUM

In jüngster Zeit beschäftigen sich viele Museen, aber auch Galerien, Stiftungen und Privatsammlungen verstärkt mit Provenienzforschung. Der Begriff bedeutet im engeren Sinne die wissenschaftliche Erforschung zu Herkunft, Erwerb und Besitzgeschichte von Kulturgütern. 

Ziel dieses noch relativ jungen Forschungszweigs ist es, die Umstände des Erwerbs von Objekten (Geschenk, Tausch, Kauf, oder aber unrechtmäßige Aneignung wie z.B. Diebstahl) möglichst lückenlos zu klären. Entsteht im Laufe der Erforschung der Verdacht, es könnte sich um unrechtmäßig erworbenes Kulturgut handeln, muss das Ergebnis öffentlich gemacht werden; daraufhin werden ggf. Nachfahren der damals Geschädigten kontaktiert, um über einen fairen Ausgleich zu verhandeln. 

Besonders in der aktuellen Diskussion um Rückgabeforderungen von Nationen und einzelnen Ethnien zu Kulturgut aus kolonialen Kontexten hat die Provenienzforschung große Bedeutung. Zentraler Ansprechpartner zu allen Fragen ist das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste – unser Museum ist Teil einer Arbeitsgruppe dieser Stiftung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden. 

Mit der aktuellen Sonderausstellung möchten wir Einblick gewähren in die Provenienzforschung im Missionsmuseum. Dieses 11 Jahre laufende Projekt wurde 2018 abgeschlossen. 

In der wissenschaftlichen Erforschung waren im Museum Expert*innen des Museums 5 Kontinente München (Ostafrika / Südafrika) und der Overseas Korean Cultural Heritage Foundation (Korea) tätig. 

Die Übertragung aller verfügbaren Informationen in die Objektdatenbank des Museums wurde bis 2016 von ehrenamtlichen Kräften und Konventsmitgliedern von St. Ottilien besorgt. 

Zum einen stellen wir vorhandene Quellen vor, die die Grundlage der Erforschung bilden. Zum anderen möchten wir die Herausforderungen der Provenienzforschung in unserer Sammlung zeigen. Die Suche nach Belegen für die Besitzgeschichte von Objekten ist durch die lückenhafte Verschriftlichung nach so langer Zeit und schwierig bis unmöglich.

Der Deutsche Museumsbund fordert von Museen einen Nachweis über den rechtmäßigen Erwerb aller Objekte. Diesen Nachweis können wir in den meisten Fällen nicht erbringen, alle verfügbaren Quellen wurden bereits ausgewertet. 

Wir gehen jedoch mit den Lücken offen um und sind darüber hinaus auch bereit zu einer Rückgabe von Objekten bei Anfrage (detaillierte Information zu bereits erfolgten Rückgaben, zum Leitbild und Restitutionskonzept etc. finden Sie auf der Homepage des Museums). 

 

QUELLEN

Für die Provenienzforschung im Museum wurden alle verfügbaren Quellen herangezogen: Eingangsbücher, drei Karteikartensysteme sowie Objektbeschriftungen aus der früheren Dauerausstellung. 

Darüber hinaus konnten wir auf eine kleine Kiste mit Briefen, Schriftstücken, Rechnungen und anderen Unterlagen rund um das Museum aus dem Archiv der Erzabtei St. Ottilien zurückgreifen. 

Ergänzend wurden auch Literatur und Medien herangezogen.

Erzabt Norbert Weber (1870-1956), der 1912 und 1924/25 zwei längere Reisen nach Korea unternommen hatte, veröffentlichte seine Eindrücke in Form des Reisetagebuchs „Im Lande der Morgenstille“. 

Der gleichnamige Stummfilm aus dem Jahr 1925 mit von ihm gefilmten Szenen zur Alltagskultur im damaligen Korea gibt ebenfalls Hinweise, denn viele der im Film verwendeten Requisiten finden sich im Objektbestand des Missionsmuseums. Mehrere Tausend Fotos entstanden während der Koreamission der Ottilianer Missionsbenediktiner.

Zwei gut dokumentierte Quellenbeispiele werden in der Sonderausstellung näher vorgestellt. Solche Mehrfach-Hinweise in unterschiedlichen Quellen bleiben jedoch Ausnahmen.

Afrika

Ausstellungsobjekte

Pfeil runter282 / E116 / A0282 Hölzerne Speiseschale

Holzgefäß mit Fuß, eingeritztes Dreieckmuster
Nordwest-Tansania, Zwischenseengebiet, südöstlicher Bereich des Viktoriasees.
Ethnie: Kerewe oder Shashi

Für diese geschätzten Gefäße, die von besonderen Handwerkern hergestellt wurden, gab es noch in den 1950er Jahren eigene Plattformen zum Abstellen linken hinteren Teil der Hütte. Bei der Bevölkerung spielen Rinder aus Prestige-Gründen eine große Rolle. Die Milch wird nur in geronnenem Zustand genossen oder sie dient zum Einreiben des Körpers.

Pfeil runter274 / E115 / A0274 Kelchförmiger Trinkbecher

Kelchförmiges Gefäß mit Fuß und schmalem zylinderförmigen Zwischenteil, aus einem Stück gearbeitet. Die Kelchschale ist leicht oval, innen und außen geglättet und vermutlich mit Fett eingerieben. 
Nordwest-Tansania, Zwischenseengebiet, südöstlicher Bereich des Viktoriasees.
Ethnie: Kerewe oder Shashi

Herkunft und Gebrauch beider Gefäße wurden im Rahmen der Provenienzforschung ermittelt:
Die Gefäße wurden von Spezialisten hergestellt. Die Schnitzer verwendeten ein Querbeil, eiserne Messer verschiedener Größe, einen eisernen Löffelbohrer zum Aushöhlen. 

Pfeil runterKarteikarte zum hölzernen Trinkbecher

Karteikarte, die durch eine Zeichnung die Identifizierung des Objekts zusätzlich sichert.

Die hier gezeigten Angaben sind typisch für alle Karteikartensysteme des Museums. Angegeben wird die Objektnummer (hier sogar noch eine frühere Nummer), der damalige Standort in der Dauerausstellung, die Region (Ostafrika) und das Gebiet (die Missionsstation Madibira im Distrikt Mbarali der Region Mbeya in Tansania). Nicht immer vorhanden sind Angaben wie hier zur Größe des Objekts.

In einigen Fällen wird der Sammler angegeben, evtl. noch das Erwerbsjahr. Hinweise zum Erwerbskontext fehlen üblicherweise.

Pfeil runterEingangsbuch Afrikasammlung

Aufgeschlagene Seite des Eingangbuchs, auf der Speiseschale und Trinkbecher mit der ursprünglichen laufenden Nummer 282 bzw. 274 und einer knappen Beschreibung vermerkt sind

Korea

Ausstellungsobjekte 

Pfeil runterEingangsbuch Koreasammlung

Das Eingangsbuch zur Koreasammlung ist nicht sehr umfangreich. Zum Teil wurden koreanische Objekte auch im Eingangsbuch der Afrikasammung verzeichnet.

Pfeil runterStrohsandalen K2417

Typische koreanische Schuhe aus gedrehtem Reisstroh.

Die Strohschuhe stellen ein seltenes Beispiel eines Objekts aus der Sammlung dar, das gut und in mehreren Quellen dokumentiert ist.

Pfeil runterFilmszene aus "Im Lande der Morgenstille"

Eine mehrere Minuten lange Szene in dem 1925 von Erzabt Norbert Weber gedrehten Stummfilm,
Zwischenüberschrift “Außer Holz- und Turnschuhen…werden vor allem Strohschuhe getragen” 
zeigt die Arbeitsschritte bei der Anfertigung eines Strohschuhs, der von Bauern bei der Arbeit, aber auch auf Reisen getragen wurde – vom Drehen des Seils aus Reisstroh über das Flechten und Dehnen des fertigen Schuhs, bis zur Anprobe durch einen Kunden.
(Filmminuten 21:00–24:00).

Viele der im Film als Requisiten genutzten Objekte fanden Eingang in die Koreasammlung des Museums. Das Medium Film wurde hier konkret eingesetzt, um Zweck, Gebrauch und z.T. auch Herstellung der Objekte im Alltag zu dokumentieren.

Pfeil runterZeichnung und Text im Buch "Im Lande der Morgenstille"

Die aufgeschlagene Buchseite von Erzabt Norbert Webers Reisetagebuch “Im Lande der Morgenstille” (Ausgabe 1915) zeigt eine skizzenhafte Federzeichnung der Strohschuhe von Erzabt Weber (S. 144).

Ferner ist die sehr detaillierte Federzeichnung eines koreanischen Strohschuhflechters im Buch abgebildet (S. 430).

In einer Textpassage erwähnt Erzabt Weber das Tragen solcher Strohschuhe im persönlichen Gebrauch: 
"…der gewöhnliche, bei gutem Wetter allgemein getragene geflochtene Strohschuh wird mir schon nach ein paar Tagen zu einem gewissen Bedürfnis; denn er sitzt leicht und bequem und dabei doch so fest am Fuß, daß er sich ganz vorzüglich für Fußreisen, besonders für Bergtouren auf unwegsamem Geröll eignet. Da marschiert es sich so leicht, und ein Ausgleiten ist fast unmöglich." (S. 78)

Zum Erwerbskontext mancher koreanischer Objekte finden sich Hinweise im Buch “Im Lande der Morgenstille”. Eine Textpassage beschreibt Erzabt Webers Besuch bei einem „Trödler“ in Seoul und den Kauf mehrerer Gegenstände für das Museum: 
“Ähnlich ging es uns bei einem Trödler, den wir direkt vom Tiger-Palais weg aufsuchten. Wie hingen da die Dinge wirr durcheinander, auch mit einer ”ehrwürdigen Patina" langen Gebrauches oder hohen Alters oder zufällig darauf verirrten Staubschicht bedeckt […] 
Eine Reihe alter koreanischer Münzen mit ausgeschlagenem viereckigem Loch um das die Inschrift herumläuft, füllen die Lücken aus zwischen Reise-Eßbestecken. […]
Dazwischen kollern messingene Soldatenknöpfe und Zigarettenspitzen usw. Für einige Mark kann man ein seidenes Mandarinkleid kaufen, dazu auch noch den geflügelten Hut aus geflochtenen Roßhaaren, ja selbst den einst so vornehm getragenen steifen Gürtel aus Holz gebogen und die unförmigen Filzstiefel, die zur völligen Ausstattung des Mandarins gehören. […] – 
Eine Anzahl ethnologisch interessanter Sachen kaufe ich für unser Museum daheim." (S. 85f.)

 

PROVENIENZFORSCHUNG

Die Sonderausstellung möchte neben dem Ablauf der Provenienzforschung im Museum auch die Gründe für die großen Lücken hinsichtlich der Erwerbsumstände aufzeigen:

- Rudimentäre bzw. lückenhafte Dokumentation

- Vermisste Objekte ohne Nachweis zum Verbleib (Verkauf, Schenkung, Tausch, Diebstahl)

- Nicht mehr mögliche Zuordnung durch verlorengegangene Objektnummern 

- Mehrfache Nummernvergabe ohne weitere zugehörige Quellen.

 

Pfeil runterQuellenbeispiel vermisste Objekte: Zettelkasten Objektschilder

Die Objektschilder beschreiben eine Reihe von Objekten, die nicht mehr in der Sammlung zu finden sind, ihr Verbleib ist unbekannt. Hierfür sind unterschiedliche Gründe möglich.

Zum einen wurden kleine Objekte wie getrocknete exotische Früchte, Meeresschnecken, Straußeneier, Schlangenhäute usw. immer wieder im Museum verkauft (in der Archivkiste befindet sich eine kleine hektografierte Preisliste). Zum anderen wird in manchen Schriftstücken eine Schenkung an andere Klöster und Museen bzw. ein Tausch erwähnt, ohne jedoch näher auf die Objekte einzugehen.

Über die Jahre ereigneten sich zudem mindestens 4 Diebstähle, die bis auf den letzten (2015) nicht dokumentiert wurden. 

Die hier gezeigten Beispiele von Objekten zum Fischfang sind der Abteilung Nahrungsbeschaffung und Hausrat zuzuordnen. 

Pfeil runterQuellenbeispiel Objekt ohne Nummer: Objekt mit Karteikarte

Die Objektbeschreibungen der Eingangsbücher sind rudimentär. 

Eine Zuordnung ist ohne Nummer nur dann möglich, wenn vom Objekt eine Zeichnung angefertigt wurde, wie bei dieser hölzernen Messerscheide.

Pfeil runterQuellenbeispiel unbekannte Erwerbskontexte: Karteikarten

Etliche Karteikarten enthalten Angaben zum Sammler, zur Region und zur Ethnie, jedoch mit wenigen Ausnahmen keine Hinweise auf den Erwerbskontext.

Die Provenienzforschung im Museum brachte daher - typisch für missionarische Sammlungen - kaum konkrete Ergebnisse. Hinweise auf unrechtmäßigen oder gewaltsamen Erwerb von Objekten wurden nicht gefunden. Es ist jedoch durch die kolonialen Verhältnisse mindestens von einem Ungleichheitskontext auszugehen. Die Positionierung des Museums zu zahlreichen Fragen der Dekolonisierung sind im Dialog auf unserer Webseite zu finden.

Pfeil runterQuellenbeispiel Mehrfach-Nummerierung eines Objekts

Im Laufe der Zeit wurden von den wechselnden Museumsdirektoren immer wieder neue Nummernsysteme eingeführt. 

In manchen Fällen findet sich keine dieser Nummern in den Quellen, in anderen Fällen wie bei diesem Lamellophon (früher als “Fingerklavier” oder “N…klavier” bezeichnet) ist eine Zuordnung möglich. 

Pfeil runterQuellenbeispiel Auftragsarbeit: A2733 Sanduhr-Trommel

Die aus einem Baumstamm geschnitzte Sanduhr-Trommel mit Kuhfellbespannung ist innen ausgehöhlt. Die Membran wird seitlich mit Holzpflöcken, zwischen ins Holz getriebenen Lederschlaufen, gespannt. 

An der Einschnürung sind auf einem zylindrischen Zwischenstück in 2 Reihen Kerben angebracht, die Dreiecke bilden.

 

Selten gibt es in den Quellen Hinweise auf Auftragsarbeiten, hergestellt durch die lokale Bevölkerung oder durch Schüler der Missionsschulen. 
Ein Auszug aus dem Inventarbuch:
"Die Zulusammlung Nr. 1535 – 1598 hat R.P. Pankratius Pfaffel bei seiner Rückreise aus Zululand im Januar 1925 mitgebracht. […] 
Der Perlschmuck wie Gürtel u.s.w. ist teilweise getragen. 
Anderes wurde für P. Pankraz eigens hergestellt von einer Frau: P. Pankraz hatte eine Anzahl Perlen gekauft & sie der Frau zu dem Zweck gegeben. Die Frau schied aber gleich einen Teil der Perlen aus, die sie wegen ihrer Farbe nicht gebrauchen könne. 
Das übrige ist, wie z.B. die Lendenbehänge aus Fell, die Schilde aus Fell, zu denen die Stöcke fehlen, von P. Pankraz neu gekauft."