EINFÜHRUNG
Seit den Entdeckungsreisen europäischer Abenteurer, Händler, Missionare und Wissenschaftler gründeten zahlreiche Nationen zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert Handels- und Kolonialbesitzungen auf anderen Kontinenten. Neben Rohstoffen wurden dabei auch zahlreiche materielle Kulturgüter in private und öffentliche Sammlungen verbracht oder gelangten in den Handel. Die Umstände des Erwerbs spielten zur Zeit der Sammeltätigkeit eine untergeordnete Rolle.
Die von den Missionsbenediktinern von St. Ottilien zwischen 1887 und den 1950er Jahren angelegte Lehrsammlung diente für angehende Missionare (und seit 1911 auch für Besucher) zur Veranschaulichung des Lebensraums in den Missionsgebieten. Mit über 5.000 Objekten gehört das Missionsmuseum zu den umfangreichsten missionarischen Sammlungen in Deutschland. Diese Sonderform kulturgeschichtlicher Spezialmuseen unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von ethnologischen Museen.
Die Sammlung hatte von Beginn der Missionstätigkeit an große Bedeutung; die Klosterleitung legte großen Wert auf Inkulturation, und nur durch das Verständnis aller Aspekte von Alltagsleben, Sprache, Religion und Lebensraum – inclusive Fauna und Flora - war eine Begegnung auf Augenhöhe möglich. Die aus diesem Grund regional angeordnete Präsentation wurde bei der Sanierung (2011-2015) beibehalten.
Wir sind uns der historischen Verantwortung bewusst, die mit dem gesammelten Kulturerbe einhergeht. Als nichtstaatliches Museum, das seit 2015 nach den Richtlinien des Deutschen Museumsbunds und der ICOM geführt wird, orientieren wir uns an der Arbeit ethnologischer Museen und anderer Institutionen, mit denen wir international vernetzt sind. Wir sind Mitglied einer Arbeitsgruppe des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste (DZK) zu missionarischen Sammlungen.
Kulturgüter aus kolonialem Kontext
Ab 2018 rückte die seit den 1960er Jahren geführte Diskussion um die Rückgabe von Kulturgütern stark in den Fokus des wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses. Bereits 2019 forderte der Deutsche Kulturrat in einer Stellungnahme die Einbeziehung der Kirchen in die Debatte um Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.
Das Missionsmuseum als eine der ca. 80 missionarischen Sammlungen in Deutschland ist nach dem Beispiel ethnologischer Museen zur Provenienzforschung an Kulturgütern aus kolonialen Kontexten aufgefordert.
Als "im kolonialem Kontext erworben" gelten dabei gemäß Definition nicht nur Objekte aus Schutzgebieten des Deutschen Reichs bis 1918. Auch Kulturgüter aus Gebieten, die während der Tätigkeit der Missionsbenediktiner unter dem Mandat anderer Nationen standen, wie z. B. Tanganjika (von Großbritannien nach dem 1. Weltkrieg übernommenes Mandatsgebiet Deutsch-Ostafrika), Südafrika (Großbritannien) und Korea (Japan, USA / Sowjetunion) fallen unter eine der vom Deutschen Museumsbund definierten Kategorien kolonialer Kontexte.
Damit gelten mindestens 80% des Sammlungsbestands im Missionsmuseum als "im kolonialen Kontext erworben". Diese Tatsache bedeutet jedoch nicht per se, dass eine Provenienz problematisch bzw. eine Rückgabe erforderlich ist. Die Kategorisierung ist lediglich ein Hinweis, der eine genaue Prüfung des Objekts im Hinblick auf seine Provenienz nahelegt.
Interventionen
Wir haben beschlossen, die Dauerausstellung des Missionsmuseums mit einigen Interventionen zu erweitern, die unseren Besuchern den aktuellen Stand zur Provenienzforschung und zu bereits erfolgten Rückgaben zeigen, aber auch weitere Schritte der Dekolonisierung beleuchten:
Die Rolle der Missionare und ihrer Verflechtung mit dem jeweiligen Kolonialregime, der Umgang mit den aus der Dokumentation resultierenden Leerstellen, Einbeziehung der source communities, den Umgang mit sensiblen Objekten usw.
Wir verstehen unsere Objekte als "Kulturbotschafter" und Teil des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit, das wir treuhänderisch verwalten. Gleichzeitig sind wir uns der historischen Verantwortung gegenüber den mit großer Kunstfertigkeit hergestellten Zeugnissen gelebter Kultur bewusst, die immer auch die religiöse Dimension mit einbezieht.
Die Interventionen und vertiefenden Texte auf unserer Webseite zeigen, wie wir in Zukunft – neben den "klassischen" Museumsaufgaben – weiter unterwegs sein wollen: mit der Ausweitung und Vertiefung unser bestehenden Kontakte und Kooperationen mit Herkunftsgesellschaften, um von den Nachfahren der Hersteller unserer Objekte zu lernen und sie am Konzept der Präsentation zu beteiligen.
Die Interventionen im Museum haben wir deshalb unter das Symbol des "Sankofa" gestellt, ein spirituelles Konzept der in Ghana und Elfenbeinküste lebenden Akan-Volksgruppe. Wörtlich bedeutet Sankofa (gesprochen Sáhnkofa) so viel wie "zurückgehen, um etwas zu holen".
Sankofa wird als mythologischer Vogel dargestellt, dessen Kopf nach rückwärts gewandt ist, während er nach vorn schreitet. Im Schnabel fängt er ein Ei über seinem Rücken auf.
In Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften nehmen wir die Vergangenheit unserer Objekte in den Blick, um daraus zu lernen und durch diese Erkenntnisse gemeinsam die Zukunft zu gestalten.
Interventionen:
Einflüsse der Mission auf indigene Gesellschaften / Das Missionsverständnis im Wandel
Verflechtungen - Mission und Kolonialismus
Provenienzforschung
Rückgaben
* Die Begriffe Dekolonisierung, koloniale Kontexte, Kolonialismus und postkolonial verwenden wir gemäß den Definitionen im "Leitfaden Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" des Deutschen Museumsbunds (2021).