
EINFLÜSSE DER MISSION AUF INDIGENE GESELLSCHAFTEN
Kolonisierende Expansion und Mission waren keineswegs identische oder zwingend miteinander verbundene Prozesse. Intentionen und Ziele waren von unterschiedlichen Motivationen getragen, religiöse Motive standen politisch-ökonomischen Zielen gegenüber.
In vielen Regionen waren Missionare bereits vor der Kolonisierung tätig, z.B. David Livingstone ab 1840 in Südafrika oder die (evangelische) Rheinische Mission ab 1842 im späteren Deutsch-Südwestafrika.
Jedoch ist deutsche Missionstätigkeit in der Zeit ab 1880 nicht ohne kolonialen Kontext denkbar. Das Konzept einer Zusammenarbeit von imperialistischen Expansionsbestrebungen und dem Einsatz von Missionaren wurde zu dieser Zeit als gegeben angenommen und nicht mehr hinterfragt.
Ausprägung des Missionsauftrags
Waren auf der einen Seite einige übereifrige Missionare bestrebt, die "heidnischen" Glaubenssysteme möglichst rasch und dauerhaft "auszurotten" und evtl. sogar Ahnenfiguren und andere "Götzenbilder" zu verbrennen, erkannten die meisten eine solche Vorgehensweise als kontraproduktiv.
Wie zerstörerisch sich solcher "Missisonseifer" auswirken konnte, zeigt das Beispiel des Beuroner Paters Franziskus Leuthner, der zur Unterstützung der Missionsbenediktiner nach Ostafrika gesandt wurde. Zum Beweis für die Machtlosigkeit der "alten" Religion ließ er die Ahnenhütte des Häuptlings Mputa niederbrennen; Leuthner wurde nur wenig später von Mputas Gefolgsleuten beim Maji-Maji-Aufstand (1905 - 1907) gefangen genommen, gequält und schließlich ermordet.
Die Missionsbenediktiner setzten auf konkrete Hilfen. Nach dem Aufstand unterstützen sie trotz der Ermordung etlicher Mitglieder ihrer Gemeinschaft die durch die Kolonialpolitik der "verbrannten Erde" am Rande des Hungertods stehende indigene Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Überzeugung durch eigenes Beispiel und auf Inkulturation, die der Gründer und seine Nachfolger stark betonten, waren weitere Richtlinien.
Dazu gehörte z.B. in Korea nicht nur das Erlernen der Sprache (neben Koreanisch auch Chinesisch als Wissenschafts- und Lehrbuchsprache), man passte sich auch in Umgangsformen und Sitten dem Land an. Die meisten Mönche waren Nichtraucher, lehnten aber in Korea bei Besuchen und offiziellen Anlässen nie die in der Kultur allgegenwärtige Pfeife ab; gegessen wurde mit Stäbchen, das Sitzen auf dem Boden gehörte ebenso dazu, auch wenn es den Mönchen Unbequemlichkeiten bereitete. Immer wurde jedoch der Benediktinerhabit getragen, einheimische Kleidung wurde nur für einige Fotos angelegt.
Es wäre zu undifferenziert, der Mission generell oder einzelnen katholischen Missionsorden oder protestantischen Missionsgesellschaften bestimmte Handlungsweisen pauschal zuzuschreiben. Individuelle Lebensgeschichten zeigen, dass die Persönlichkeit des einzelnen Missionars bzw. der Missionarin die konkrete Umsetzung des Missionsauftrags entscheidend prägte.
Zu bedenken ist ebenfalls, dass die damalige Situation nicht nach heutigen Maßstäben bewertet werden darf; eine Bewertung ist nur aus einer Position heraus sinnvoll, die die historischen Hintergründe und Gegebenheiten, insbesondere auch den Wandel im katholischen Missionsverständnis nach 1919, mit einbezieht.
Mission und Kulturwandel
Auf welche Ethnien Missionare auch stießen, sie transportierten zusammen mit der religiösen Botschaft immer auch die europäische Kultur. Das Missionsideal der "Rettung von Seelen" bekam eine gesellschaftliche Dimension, die den Missionsbenediktinern von St. Ottilien auch bewusst war: Zur "Einpflanzung von Kirche" als Impuls aus der zeitgenössischen Missionstheologie kam der (benediktinisch geprägte) Aufbau christlicher Zivilisation.
Zum einen führte dieser Kontakt zu einer Bereicherung und Weiterentwicklung der indigenen Gesellschaften in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, usw. In Europa gängige Technologien wurden eingesetzt, Ernteerträge gesteigert und Produktionsprozesse optimiert.
Die von den Missionaren aufgebaute Gesundheitsversorgung verringerte Kindersterblichkeit und Todesfälle bei heilbaren Krankheiten in der einheimischen Bevölkerung, gegen die die einheimischen Kräuterkundigen und Zauberer machtlos waren. Der Glaube an Krankheit als "Verhexung" durch übelwollende Mitmenschen wurde langsam entkräftet.
Zum anderen setzte aber auch ein Werte- und Kulturwandel ein, der die bisherigen Strukturen der Familien und Dorfgemeinschaften und des Häuptlingstums infrage stellte oder zum Verschwinden brachte und große Auswirkungen auf Sprache, lokale Politik, Moral, Recht und traditionelle Religion hatte.
Mission und Bildungssystem
Die Missionsbenediktiner begannen ihre Tätigkeit in Deutsch-Ostafrika ab 1887 mit dem Freikauf von Kindersklaven, die sie in eigene Waisenhäuser und Schulen aufnahmen, ausbildeten und mit dem katholischen Glauben vertraut machten.
Generell war die Werbung für die Missionsschulen mit großem persönlichen Einsatz der Missionare verbunden. Viele Eltern verweigerten eine Teilnahme ihrer Sprösslinge, da Bildung über das tradierte Wissen hinaus keinen Wert darstellte. Zudem galten solche Kinder als "an die Europäer verloren", da sie nicht mehr ihren Platz als Arbeitskräfte, Miternährer und Unterstützer der Familienverbände einnahmen.
Durch die bessere Ausbildung von Missionsschülern entstand ein neues Zwei-Klassen-System. Nach beendeter Ausbildung konnten sich Jungen und Mädchen oft nicht mehr ins soziale Gefüge der Dorfgemeinschaft einpassen; sie orientierten sich an europäischen Werten, die eigene Kultur wurde als "rückständig" wahrgenommen. Diese Absolventen versuchten, ihren Platz im System der Kolonialverwaltung zu finden - was nicht immer gelang und sich vor allem auf ihre wirtschaftliche Situation und Stellung im traditionellen Sozialgefüge auswirkte.
Vielfach waren die Ausbildungsinhalte in den Missionsschulen zu theoretisch und wenig auf die konkreten Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung ausgerichtet. Auch waren die Missionare in der Regel keine ausgebildeten Pädagogen; Ungehorsam oder Mangel an Motivation wurde oft streng bestraft, viele Schüler, verließen die Schulen wieder. Vor allem Söhne der indigenen Elite sahen sich genötigt, während der Ausbildung Tabus in Zusammenhang mit ihrem sozialen Rang zu übertreten (Tragen von europäischer Kleidung, bestimmte Speisen) und waren in keiner Weise bereit, Strafen für Fehlverhalten zu akzeptieren.
Andererseits versuchten indigene Eliten, sich über die konkrete Förderung von Missionsschulen auf ihrem Territorialgebiet eine Basis in der kolonialen Herrschaftsordnung zu schaffen.
Der christliche Gleichheitsgrundsatz kam zunächst Frauen, Sklaven und anderen marginalisierten Gruppen zugute. Durch die Vermittlung europäischer Bildung entstand allmählich eine Schicht von Intellektuellen, von denen einige in Europa studierten. Viele Freiheitskämpfer und -kämpferinnen auf dem Weg zur Unabhängigkeit hatten ehemals Missionsschulen besucht.
Strukturen der Christianisierung
Der Übertritt zum Christentum geschah im katholischen Milieu zumeist auf freiwilliger Basis.
Zu bedenken ist jedoch, dass ein Leben als Christ entscheidende Vorteile in Bezug auf Ausbildung, Gesundheitsversorgung und Beschäftigung hatte. Dazu kam der subtile Druck, sich der Religion der Kolonialherren anzupassen. Es hing also stark vom Einzelnen ab, ob die Konversion aus religiöser Überzeugung oder eher aus einem gewissen Opportunismus heraus geschah.
Viele erlebten dennoch die christliche Religion als Befreiung von der dunklen Seite des indigenen Glaubens, der übelwollende Geister, Hexerei, Zauber und Gottesurteile einschloss. Rituale wie Kopfjagd, Witwenverbrennung und Kannibalismus verschwanden.
Die Missionare strebten immer auch die Bildung von Gemeinden an, also eine flächendeckende Konversion. Sie hatten dabei eine Führungsposition inne und konnten viele Entscheidungen vor Ort selbständig treffen. Gleichzeitig waren sie aber der Kontrolle der Missionsgesellschaft bzw. des Missionsordens im Heimatland unterstellt.
Die Neubekehrten wurden in die Strukturen der Mission eingegliedert; sie wohnten teilweise auf dem Terrain einer Missionsstation und waren als Hilfskräfte bei deren Bau und Betrieb tätig. Diese Arbeitsleistungen wurden vielfach nicht adäquat entlohnt.
Auch der Amtskirche waren die Missionare verpflichtet, jedoch nicht in unbedingter Weise. Als der Vatikan die für die ostafrikanische Küstenregion so wichtige Initiation verbot, fanden die Missionsbenediktiner Wege, um dieses Verbot zu umgehen und den Einheimischen trotzdem die wichtige Zeremonie in abgewandelter Form zu ermöglichen, die auch heute nicht nur den Eintritt ins Erwachsenenalter, sondern auch die vollständige Integration in das kulturelle Leben der Gemeinschaft markiert.
Es bildete sich eine hierarchische Struktur aus mit den Missionaren als Führungsschicht, den einheimischen Priestern, Pastoren und Katecheten, (Sprach-)Lehrern und Gemeindevorstehern (im protestantischen Bereich Kirchenältesten bzw. Presbytern) und schließlich den "einfachen" Christen. Diese Weltsicht war jedoch kein Selbstzweck, sondern sollte nach Ansicht der Missionare die Umgestaltung der religiösen, aber auch der kulturellen und sozialen Verhältnisse der indigenen Bevölkerung fördern.
Auch die Missionare blieben nicht unbeeinflusst von der einheimischen Kultur und Lebensart, was bei den Missionsbenediktinern durch das Konzept der Inkulturation in gewissen Grenzen durchaus gewünscht war. Manche waren toleranter gegenüber indigenen Religionen und Praktiken als andere, was für interne Spannungen sorgte.
Indigene Christen besaßen nicht den Status europäischer Christen. Zwar galten die einheimischen Konvertiten den "Heiden" gegenüber als überlegen, jedoch war den Missionaren klar, dass die Verbindung zur Ursprungsreligion auch nach der Taufe mehr oder weniger weiterbestand. Das christliche Religionsverständnis ließ, anders als der Islam, Kompromisse weniger zu.
So wurde zwischen "guten" und "schlechten" Christen unterschieden, die die Regeln der christlichen Lebensordnung übertraten, indem sie Medizinmänner und Zauberer konsultierten, Orakel befragten, Zauber und Gegenzauber in Gang setzten oder mehr als eine Frau heirateten.
Kirchenrechtliche Sanktionen im Falle der Entdeckung einer Übertretung waren begrenzt, ebenso die Kontrolle über das Leben der Konvertiten. Die Gemaßregelten hatten die Möglichkeit, sich anzupassen, heimlich weiterzumachen oder zu einer anderen christlichen Denomination überzutreten, die vermeintlich weniger "streng" war. Als letzter Schritt blieb dann, der christlichen Religion endgültig den Rücken zu kehren und wieder zum alten Glaubenssystem zurückzukehren.
Daher galt deshalb lange Zeit die Leitung der Missionsklöster und -stationen durch europäische Missionare als unverzichtbar, weil eine Übernahme durch Einheimische die christlichen Standards zu verfälschen drohte. Auch bei den Missionsbenediktinern waren die Konvente zunächst nur mit Europäern besetzt. Nach der Teilung und Gründung zweier Staaten wurde in Südkorea ein neuer einheimischer Konvent gegründet. In Südafrika traten ab 1965 die ersten Einheimischen den Gemeinschaften bei. Heute ist seit vielen Jahren kein "weißer" Mönch mehr in der Leitung außereuropäischer Klöster tätig.
Missionskritik
Mit der Unabhängigkeit der kolonisierten Staaten entwickelte sich zunehmend Missionskritik, die auch Spuren in der Missionsforschung hinterließ. Ab den 1960er Jahren schalteten sich zunehmend Wissenschaftler ohne missionarischen oder christlichen Hintergrund – und ohne das Wissen um die religiösen und kulturellen Aspekte der Missionstätigkeit – in die Debatte ein. Hier überwiegt ein missionskritischer Ton, der das Phänomen aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive bewertet.
Jedoch kann Mission nicht als Instrument des Imperialismus wahrgenommen werden, das den Machtanspruch der Kolonialregierungen durch Entfremdung der einheimischen Bevölkerung von ihrer Kultur unterstützt.
Auch geschieht Kulturwandel nicht allein durch Mission. Bereits mit den ersten europäischen Expansionsbewegungen des 15. Jahrhunderts setzte der Kulturwandel ein. Der Kontakt mit der europäischen Zivilisation konnte auf religiöser Basis geschehen, war aber überwiegend von wirtschaftlichen und politischen Interessen motiviert.
Wissenschaftliche Annäherung an eine Kultur wie der Kontakt durch Ethnologen bringt ebenso Fremdeinflüsse wie die Entwicklungshilfe. In jüngerer Zeit trägt vor allem der Tourismus in nicht unerheblicher Weise zur Kulturbeeinflussung bei.
Im Zeitalter der Globalisierung existieren nur noch wenige Gemeinschaften weltweit ohne Kontakt zur "Zivilisation". Diese Gruppen haben weder Lobby noch Rechte und werden bei wirtschaftlichen Erwägungen hintangestellt.
Viele Kritiker betonen, dass die Mission als "Kirche von Weißen" die Entfremdung stark stützte. Die einheimische Bevölkerung war mit der Lebensweise und den Normen der Europäer konfrontiert, die als neuer Maßstab galten, ihnen aber keinen gleichberechtigten Platz erlaubte. Die christliche Maxime der Gleichwertigkeit aller Menschen wurde nicht glaubwürdig umgesetzt; einheimische Priester und Katecheten hatten bei der Glaubensverkündigung nicht den gleichen Stand wie ihre weißen Amtsbrüder. Manche Autoren sprechen deshalb von kolonialer Mimikry (Wiederholung europäischer Normen durch die Kolonisierten).
Während der Dekolonisierungsprozesse entstand in den Kirchen der Begriff ‘Partnerschaft’, der eine Kooperation auf Augenhöhe suggerierte. Einigen Autoren gilt jedoch das Konzept der finanziellen, personellen und sozial-karitativen Unterstützung der "Südkirchen" durch den globalen Norden als Fortführung der europäischen Machtposition.
Die Aufgabe der Mission ist es, im Dialog mit den lokalen Ortskirchen einen Partnerschaftsbegriff zu entwickeln, ohne neo-koloniale Strukturen zu stützen.