
VERFLECHTUNGEN - MISSION UND KOLONIALISMUS
Die Rolle der Mission im Kolonialregime
Koloniale Systeme bedienten sich katholischer Ordensgemeinschaften und evangelischer Missionsgesellschaften als stabilisierender Faktoren zur Erziehung und "Befriedung" der indigenen Bevölkerung. Sie waren zwar nicht direkt der Regierung des Kaiserreichs verpflichtet, fanden sich aber durch die Gegebenheiten vor Ort als Teil des Systems.
Missionare waren für die lokale Kolonialregierung wichtige Bindeglieder zur indigenen Bevölkerung; sie lebten oft jahrzehntelang vor Ort und hatten profunde Kenntnisse von Sprache, Kultur und Denkweise erworben.
Ethnologen wie Felix von Luschan erkannten das Potenzial der Missionare beim Sammeln von Objekten und in der Ethnografie. Darüber hinaus trug die publizistische Tätigkeit der Missionare dazu bei, nicht nur den Kolonialverwaltungen nützliche Informationen zu liefern, sondern auch der Bevölkerung in Deutschland das Leben "in den Kolonien" näherzubringen.
Missionare dokumentierten verschwindende Kulturen, Sprachen und Traditionen und sammelten Objekte untergehender Kulturen. Auch wenn die kolonialen Systeme als Auslöser dieses Verfalls der ursprünglichen Kultur gelten können und den ethnologisch tätigen Missionaren das Rettungsparadigma als Motiv unterstellt wird, so wurden doch auf diese Weise materielle und immaterielle Kulturgüter bewahrt.
Als Beispiel können hier die Objekte des Museums aus den Kulturen des Joseon-Reichs (1392-1897) und des koreanischen Kaiserreichs (1897-1910) gelten, die während der Zeit der japanischen Kolonisierung Koreas durch Ankäufe der Missionsbenediktiner erhalten blieben; Foto- und Filmaufnahmen dokumentierten die Verwendung der Objekte im Alltag.
Das Bildungs- und Erziehungswesen vermittelte den Schülern Kultur und Lebensstil der Europäer. Die Missionsschulen in Afrika entwickelten sich zu Zentren der Rekrutierung von einheimischem Verwaltungspersonal; das dort gelehrte europäische Arbeitsethos leistete einen unterstützenden Beitrag zur wirksameren ökonomischen Ausbeutung der Kolonien.
Mitunter arbeiteten Missionare explizit auf dieses Ziel hin, wie der Aufsatz von Alexander Merensky (Berliner Mission) zeigt: "Wie erzieht man am besten den Neger zur Plantagen-Arbeit?" (Zeitschrift des Deutsch-Nationalen Kolonialvereins, 1912).
Die Bemühungen der Reichsregierung in der Unterbindung des Sklavenhandels wurden durch die Missionsbenediktiner und andere religiöse Gemeinschaften mit dem Freikauf von (Kinder-)Sklaven unterstützt.
Nicht zuletzt dienten der deutschen Regierung immer wieder Überfälle auf Missionare als Anlass zu politischem Handeln. Die Ermordung zweier katholischer Missionare in Shandong 1897 war ein Vorwand zur Besetzung eines Hafens an der nordchinesischen Küste, dem späteren deutschen Schutzgebiet Kiautschou.
1889 wurde im Buschiri-Aufstand die Station Pugu der Missionsbenediktiner zerstört, was den Reichstag von einem Eingreifen in den Konflikt zugunsten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) überzeugte.
Das koloniale System aus Sicht der Missionare
Die Mission war nicht automatisch Erfüllungsgehilfe des imperialistischen Systems, profitierte aber meist von den Gegebenheiten, z.B. im Kongo durch Enteignung der Einheimischen und Zuweisung von Ländereien, die bis heute im Besitz der niederländischen Missionen sind.
Als staatliche Autorität bot die Kolonialverwaltung ein System von Gesetzen und Verträgen, das nötigenfalls auch mit Militärgewalt durchgesetzt wurde und auch der Mission zugutekam. Dabei war unerheblich, ob Missionare und Kolonialbeamte die gleiche Nationalität hatten.
Im ersten Tätigkeitsfeld Deutsch-Ostafrika waren die Missionsbenediktiner im kolonialen System integriert. Diese Tatsache wurde, wie auch in anderen Missionsgesellschaften, nicht hinterfragt und stieß nur dort auf Ablehnung, wo die Interessen der Kolonialregierung den Zielen der Mission entgegenliefen.
Jedoch war das Verhältnis zwischen kolonialem System und Mission nicht spannungsfrei. Missionare, die harte Entscheidungen oder Strafen gegen die einheimische Bevölkerung zu mildern oder abzuwenden suchten, wurden kurzerhand auf Betreiben der Kolonialverwaltung "strafversetzt" auf Außenposten, wie mehrere Beispiele bei den Missionsbenediktinern zeigen.
Die Arbeit der Missionare konnte durch Sachzwänge eingeschränkt sein. Christliche Werte wie die Sonntagsruhe waren oft nicht durchsetzbar, wenn die Indigenen von den weißen Siedlern auch an diesem Tag zur Arbeit herangezogen wurden. Die Diskussion über eine (in manchen Kolonien auch durchgesetzte) zwangsweise Scheidung der zuvor geduldeten Mischehen zwischen einheimischen Frauen und Europäern musste mancherorts trotz der Verletzung des Sakraments geduldet werden. Die Apartheid-Regierung in Südafrika widersetzte sich dem Eintritt von Einheimischen in die Klöster der Missionsbenediktiner.
Langzeiteffekte
Postkoloniale Theorien betonen, dass auch Jahrzehnte nach dem Ende der Kolonialzeit nachwirkende koloniale Strukturen sowohl Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, aber auch das Selbst- und Fremdbild auf beiden Seiten beeinflussen.
Auch kirchliche Nord-Süd-Partnerschaften sind wegen dieser Langzeiteffekte belastet, das im kolonialen Kontext entstandene Machtgefälle ist noch heute sichtbar. Der tansanische Pfarrer E. Kileo bezeichnet die Kirchen als "Kolonialagenten" und weist darauf hin, dass durch die Mission in kolonisierten Ländern traditionelle gesellschaftliche Werte durch die europäische Kultur ersetzt wurden. Auch nach der Unabhängigkeit der Staaten leben die durch die Kirchen im kolonialen Kontext verbreiteten Werte weiter und stützen deren Strukturen.
Jedoch ist längst ein Wechsel der Richtung festzustellen – nicht länger von Europa nach "draußen", sondern von Asien und Afrika aus in die ganze Welt. So leben Missionsbenediktiner aus dem zur Kongregation von St. Ottilien gehörenden Kloster Waegwan (Südkorea) in den USA, Mönche aus Ottilianer Konventen in Afrika unterstützen Niederlassungen in Deutschland usw.
Dekolonisierung im Museum
Das Missionsmuseum steht - wie andere europäische Museen und missionarische Sammlungen mit Kulturgütern aus kolonialem Kontext - vor einem Rechtfertigungsproblem:
Wenngleich in der Provenienzforschung keine expliziten Unrechtskontexte wie Diebstahl, (moralisch) erzwungene Abgabe oder Verkauf unter Wert festgestellt werden konnten, muss beim Erwerb der ost- und südafrikanischen Objekte mindestens ein Machtgefälle angenommen werden.
Aufgrund des erst in den Anfängen stehenden Dialogs mit den afrikanischen Herkunftsgesellschaften konnte deren Wissen zu den Objekten bisher kaum einbezogen werden.
Für die koreanischen Objekte stellt sich aufgrund der historischen Gegebenheiten (Kulturwandel aufgrund japanischer Kolonisierung) die Frage, ob der Ansatz des Rettungsparadigmas gerechtfertigt war.
Das Missionsmuseum hat bereits Schritte zur Dekolonisierung vollzogen. Hier sind unter anderem die bereits 2018 abgeschlossene Provenienzforschung, Rückgaben an die koreanische Herkunftsgesellschaft, Kooperationen und die Mitgliedschaft in öffentlichen Gremien zu nennen.
Interne Sensibilisierung zu den Themenfeldern rund um Mission und Kolonialismus ist in unserem Haus seit einigen Jahren ebenso selbstverständlich wie die Vermittlung dieser Inhalte in Führungen.
Auch wenn unsere Depots nicht öffentlich zugänglich sind, haben wir sensible Objekte generell den Blicken entzogen. Im Dialog mit unseren Partnern nehmen wir punktuell Umgestaltungen der Präsentation vor.
Eurozentrischer Blick?
Das Museum wurde angelegt als Lehrsammlung zur Darstellung aller kulturellen und naturkundlichen Aspekte der Gebiete, in denen die Missionsbenediktiner von St. Ottilien initial tätig waren. Die Sammlung dient auch heute noch den jungen Mönchen der Erzabtei St. Ottilien als Raum, um die Geschichte der Kongregation in allen Facetten kennenzulernen.
Durch die konkrete Anbindung an eine religiöse Gemeinschaft, die noch heute in 20 Ländern tätig ist, ergeben sich andere Vermittlungsschwerpunkte als in einer ethnologisch-naturhistorischen Sammlung.
Wir haben uns daher bei der Sanierung (2011-2015) bewusst dazu entschieden, die regionenbezogene Präsentation beizubehalten – auch auf die Gefahr hin, dass dies als Verlängerung historischer Gewalt in die Gegenwart hinein interpretiert werden könnte.
Perspektiven
Dekolonisierung ist als Prozess zu verstehen. Wir nehmen uns Zeit, um Strukturen zu hinterfragen, Expertise zu gewinnen, Ansätze für den Umgang mit Objekten aus kolonialem Kontext zu erarbeiten und neue Themen in den Sammlungen zuzulassen.
Wir wollen auch den Herkunftsgesellschaften in Ost- und Südafrika die Zeit lassen, auf uns zuzukommen, ihre Ansprüche zu formulieren und eine Zusammenarbeit zu etablieren. Wir streben in unseren Kooperationen eine transkulturelle Vernetzung an, die die Grundlage eines fundierten globalen Miteinanders bildet.
Dazu gehört, dass wir die Deutungshoheit über die Präsentation mit unseren Kooperationspartnern teilen. Die Gestaltung der Koreasammlung erfolgte im gleichberechtigten Dialog mit unseren koreanischen Partnern.
Langfristig angelegte Kooperationen sind für uns eine wertvolle Quelle für Informationen, die uns aufgrund der lückenhaften Quellenlage zu unseren Objekten fehlen.
Wir können uns nicht befreien aus den Verstrickungen, die durch die Tätigkeit der Missionsbenediktiner in Regionen mit kolonialen Strukturen entstanden. Diese sind eingeschrieben in der wissenschaftlichen Disziplin der Ethnologie, der Museumsgeschichte und den Sammlungen.
Wir können der Geschichte nur offen und selbstreflexiv begegnen und im Dialog mit den Herkunftsgesellschaften neue Ansätze entwickeln – ganz im Sinne des "Sankofa-Prinzips": zurückschauen, um daraus für die Zukunft zu lernen.